Armut im Schatten des Krieges

Die Armutsproblematik bleibt allgegenwärtig, besonders in Zeiten des Krieges. Doch die meisten entscheiden sich weiterhin dazu, die Augen zu verschließen. Hilfe bleibt jedoch bitter nötig.

Das Wort „Armut“ löst wahrscheinlich in uns allen etwas aus.

Vielleicht denken wir an die abgemagerten Menschen, die uns von der Brot-für-die-Welt-Broschüre anlachen, die Hände zum Gruß erhoben, die Augen stumpf und müde. Vielleicht erinnern wir uns an letzten Montag, als wir in der U-Bahn von einem bedürftigen Menschen angesprochen wurden und in unangenehmer Ablehnung auf unser Handy starrten, nur scheinbar abgelenkt. Vielleicht haben wir aber auch das Bild eines Kindes vor Augen, mit Blähbauch und dreckiger dunkler Haut, der Blick schreit nach Gerechtigkeit, nach Bildung aber vor allem nach einem Stück Brot – ein altbekanntes Stereotyp.

Eigentlich kommen wir nahezu jeden Tag mit dem Thema Armut in Berührung.

Doch der Mensch ist bekanntlich ein „Meister des Verdrängens“, die Broschüre liegt vergessen im Papiermüll, der Obdachlose hat sich auf den Weg zum nächsten Waggon gemacht und das Kind wurde schon lange von wichtigeren Gedanken verdrängt – Gedanken an die nächste Mahlzeit oder den Abend vor dem Fernseher. Seien wir mal ehrlich, uns geht es doch gut, wieso müssen wir uns also mit dem Elend anderer auseinandersetzen?

In Zeiten des Krieges sollten wir uns jedoch der Problematik entgegenstellen, gerade mit Blick auf die Zukunft. Denn selbst wenn keine Bomben mehr fallen, wenn keine Menschen mehr sterben, wenn scheinbarer Frieden herrscht – die Armut bleibt.

Nicht nur der Staat selbst wird durch einen Krieg in seinen Fundamenten erschüttert, auch seine Bevölkerung leidet unter der anhaltenden Verwüstung. Es werden nicht allein Straßen und Schienennetzte zerstört, dem Krieg fallen auch unzählige Eigenheime zum Opfer. Häuser und Wohnungen, die durch Geld erworben wurden, das man sich über Jahre vom Munde absparte – mit einem Schlag weg. Kriege nehmen Erinnerungen, geliebte Menschen und geliebte Orten, sie löschen Existenzen aus.

Dieser Prozess der Destruktion ist der erste Schritt in Richtung Armut. Wenn von Haus und Grund nicht vielmehr als ein Aschehaufen übrigbleibt und man sich entwurzelt und mittellos auf dem Weg in eine fremde Stadt oder sogar ein fremdes Land, in einer vollkommen neuen Umgebung wiederfindet, steht man am Abgrund. Es fehlt nicht viel und man wird hineingezogen, in den Kreislauf der Armut, den man möglicherweise nie wieder verlassen wird.

Sich ein neues Leben aufzubauen kostet Kraft, die viele in Zeiten der Gewalt nicht aufbringen können.

Schon die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle scheitert oftmals. Ohne Einkommen lassen sich kaum die steigenden Lebensmittelpreise bezahlen und eine mangelnde Nahrungsmittelversorgung führt zu ultimativ zu einem verringerten Leistungsvermögen. Hier beginnt der Kreislauf von Neuem.

Wenn wir uns nun auch noch dem emotionalen Aspekt der Armut zuwenden, muss ich mich wieder und wieder fragen, wie Menschen es aushalten Tage, Wochen und Jahre unter solchen Bedingungen zu überleben. Ich benutze bewusst den Begriff „überleben“, denn von „leben“ kann hier kaum die Rede sein. An der Versorgung der eigenen Familie zu scheitern, geht mit einem unglaublichen Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit einher, das den bzw. die Betreffende(n) immer weiter an den Abgrund der eigenen Identität drängt. Wer bin ich, wenn ich nicht einmal für meine Familie sorgen kann, wenn der Gedanke an die nächste Mahlzeit Schweißausbrüche auslöst und sich zwischen einer kalten oder gar keiner Dusche entschieden werden muss, aber kalt duschen ist doch auch gesund. Wer bin ich ohne eine Heimat bzw. mit einer Heimat, die mir Stück für Stück weggenommen wird – emotional und physisch.

Nichtsdestotrotz kann man in Bezug auf die Armut schlecht eine Unterteilung in Gut und Böse vornehmen.

Sowohl in der Ukraine als auch in Russland leidet die Bevölkerung unter den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Krieges. Besonders ins Auge zu fassen sind hier junge Erwachsene und Kinder. So steigt die Zahl der in Armut lebenden Kinder nach Angaben der UNICEF in Russland um rund 2,8 Millionen, in der Ukraine sind es ca. eine halbe Millionen. Gerade durch den Anstieg der Preise für lebensnotwendige Güter, wie Lebensmittel, Wohnraum und Brennstoff, bleibt wenig Geld für die ebenso wichtige Aspekte wie Gesundheitsversorgung oder Bildung. Diese Tatsache beeinflusst nicht den unmittelbaren Lebensalltag von unzähligen Kindern, sie wird auch ihre Zukunft prägen. Eine Jugend ohne Bildung, für uns unvorstellbar und scheinbar reizvoll, für Kinder und Jugendliche in Kriegsgebieten die bittere Realität. Und ohne vollständige Ausbildung endet eines von drei Kindern, das in Armut aufwächst, auch als Erwachsene*r in der Armut. Der Ausbruch aus dem Teufelskreis ist lediglich das Glück einiger weniger. Krieg zerstört also nicht nur die Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit, er nimmt Kindern und Jugendlichen die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.

Die Realität der Armut ist mir und wahrscheinlich vielen anderen Jugendlichen in meinem Alter unglaublich fremd. Ich sitze in meinem warmen Bett, bin satt und frisch geduscht. Ich rede über Armut und habe eigentlich gar keine Ahnung, was es bedeutet in Armut zu leben. Und das sollte uns wahrlich zu denken geben. Unsere unzähligen Privilegien gleichen einem Schutzschild, der uns vor den unangenehmen Bildern und Berichterstattungen abschirmt. Wir beschweren uns über Schulstress und Eltern oder lästige Aufgaben und Pflichten und sollte eigentlich unglaublich dankbar für unsere „normalen“, unbedeutenden Probleme sein. Wir müssen aufhören wegzuschauen und die Augen öffnen. Krieg ist nicht nur ein kurzfristiger Schrecken, er wirft seine Schatten noch lange nachdem er sich scheinbar schlafen gelegt hat. Und die Armut ist nur eines dieser Schattengewächse.

– ein Kommentar von Luise

Quelle

https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/vier-millionen-kinder-in-armut/314600

Du erinnerst Dich immer wieder daran, dass in deiner Heimat gerade Krieg herrscht

Das ist der Alltag von Katya. Katya ist alleine aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, denn ihre Eltern durften das Land nicht verlassen. Nun bestreitet sie hier alleine den Alltag.

Nicht über, sondern mit Menschen reden. Ihre Geschichte erzählen. Das hören und zeigen, was abseits der gängigen Berichterstattung zur Ukraine-Thematik passiert. Das ist uns wichtig. Wir haben Katya zu einem Interview getroffen. Eindrucksvoll und emotional erzählt sie vom Leben in der Ukraine, aber auch von den bürokratischen Hürden, mit denen sie in Deutschland konfrontiert ist.

ein Interview von Kilian Wolter

 

Hi, magst Du dich einmal vorstellen? Wie heißt Du? Wie alt bist Du? Und vielleicht, wenn Du das sagen möchtest, woher genau aus der Ukraine kommst Du?

Ich heiße Katya, oder mit vollem Namen Katyarina, und bin 17 Jahre alt. Mit 16 Jahren, Mitte März 2022, bin ich nach Deutschland gekommen. In der Ukraine habe ich schon meinen Schulabschluss gemacht. Dort war ich im Mathe- und Physik-Profil an der ukrainischen Form vom Gymnasium. Ja, und jetzt besuche ich in Deutschland ein Gymnasium und studiere auch an einer ukrainischen Universität.

Du bist alleine nach Deutschland gekommen. Magst Du erzählen, warum das so ist und wie du hergekommen bist?

In der Ukraine wohnte ich in Saporischja. Meine Eltern sind beide Juristen und sie dürfen daher das Land nicht verlassen. Deswegen bin ich alleine hier. Aber ich habe hier Verwandte, die sich um mich kümmern. In der Ukraine bin ich zuerst mit dem Zug bis nach Polen gefahren. Dann bin ich durch Polen bis nach Berlin gefahren, auch mit dem Zug. Und dann bin ich durch Deutschland mit einem Bus gefahren. Meine Verwandten haben mich dann vom Bus abgeholt.

Wie lebst du jetzt hier? Wie kann man sich das vorstellen?

Ich wohne hier in einem Hotel, da wohnen auch viele andere ukrainische Leute, die geflüchtet sind. Und ich weiß noch nicht, wie es weitergeht. Vielleicht bleibe ich für eine Zeit hier. Jetzt wohne ich hier, habe ein ganz normales Leben, besuche wieder die Schule.

Und wie funktioniert das jetzt mit Geld, wenn du da lebst? 

Ich kriege die Hilfen vom Staat, aber ich bin ja Minderjährige und ohne Eltern hier. Dadurch ist das ein bisschen schwieriger mit der Arbeit und so weiter. Ich kann zum Beispiel nicht einfach ein Konto bei der Bank eröffnen, und deswegen ist es sehr kompliziert mit dem Geld. 

Warum genau darfst Du kein Bankkonto eröffnen?

In Deutschland gibt es das Gesetz, dass man beide Elternteile braucht, um ein Konto zu eröffnen. Für einige Menschen aus der Ukraine ist es möglich, mit nur einem Elternteil das Konto zu eröffnen. Aber ich bin hier ganz allein und meine Tante darf das nicht für meine Eltern unterschreiben. Wir haben es schon bei zwei Banken versucht, aber das hat leider nicht geklappt.

Das heißt, es liegt eigentlich wirklich bloß daran, dass deine Eltern momentan natürlich nicht unterschreiben können und die Banken dann kein Konto eröffnen können?

Meine Eltern könnten theoretisch eine Vollmacht für meine Tante schreiben, aber sie müssten dafür hier vor Ort bei der Bank unterschreiben, so sagt es das Gesetz, wie ich es verstanden habe.

Okay. Und wenn du an den Alltag in der Ukraine denkst, gibt es da Unterschiede zum Alltag in Deutschland?

Deutschland ist ein ganz anderes Land für mich. Ich habe natürlich nicht so viele Freunde hier, wie ich sie in der Ukraine hatte. Außerdem kenne ich Deutschland nicht, das ist aber genauso ein Nachteil und ein Vorteil für mich. Denn es ist ganz spannend, neue Orte kennenzulernen und in der Ukraine konnte man zum Beispiel nicht so viel mit dem Fahrrad fahren. Wir hatten leider wenige Möglichkeiten dafür. Andererseits ist vieles auch komplizierter. Es ist alles neu, Du musst so viel Neues lernen und auch die Gesetze sind ein bisschen anders.

Diese ganze Bürokratie ist ein bisschen schwierig, allein, ohne Eltern.

Und ich muss neue Leute kennenlernen. Die Kommunikation ist auch ein wenig komplizierter wegen der anderen Sprache.

Du sprichst ja jetzt eine komplett andere Sprache im Alltag und auch in der Schule. Wie ist das für Dich?

Das ist echt nicht leicht. Ich versuche, alles Mögliche zu verstehen und ich wiederhole zuhause das, was ich verstanden habe nochmal. Ich schreibe Wörter, die neu für mich sind, auf und lerne sie. Das funktioniert eigentlich ganz gut. Aber es ist trotzdem sehr schwer, ich muss manchmal nachfragen, was etwas bedeutet und die Leute sprechen immer sehr schnell, dadurch verstehst Du nicht immer, was der Andere meint. Und Du kannst nicht immer Deine Gedanken deutlich äußern. Manchmal fehlt dann so eine bestimmte Vokabel und dann braucht man immer mehr Zeit, um etwas Bestimmtes zu sagen.

In der Ukraine bist Du ja vorher noch zur Schule gegangen. Wie ist das jetzt hier?

Ich habe E-Mails an Schulen geschickt und meine Situation erklärt. Die eine Schule hat dann ein Gespräch für mich organisiert und ich habe einen Schnuppertag gemacht. Seit diesem Schuljahr gehe ich jetzt hier zur Schule. Ich habe die Fächer, die ich auch in der Ukraine hatte, im Unterricht, aber teilweise auch neue Fächer. Zum Beispiel Wirtschaft/Politik und Philosophie, das hatten wir gar nicht an unserer Schule in der Ukraine. Der Lehrplan ist auch ein bisschen anders. In Mathematik habe ich beispielsweise andere Themen gelernt und einige Themen, die es hier jetzt gibt, hatte ich aber auch noch nicht gelernt.

Du meintest vorhin, du studierst noch nebenbei? Wie schaffst Du es, Schule und Studium unter einen Hut zu bekommen?

Also nach der Schule besuche ich halt die Vorlesungen, die ich noch besuchen kann. Wir haben alle Vorlesungen momentan online, ich gehe ja an eine ukrainische Uni, das ist sehr gut für mich. Ich mache meine Hausaufgaben dann teilweise auch in der Zeit, wo ich auch mit der Uni beschäftigt bin. Aber ehrlich gesagt, es ist echt kompliziert, beides zu machen und deshalb mache ich auch nicht immer alles für die Schule (lacht). Jetzt gerade ist zum Beispiel auch die Klausurphase und das ist echt anstrengend.

Wie denkst Du über die Wahrnehmung von Menschen in Deutschland über den Krieg? Wenn Leute dich auf die Situation in der Ukraine ansprechen oder man die Nachrichten guckt, wie empfindest Du das? Nervt sowas manchmal? 

Das ist schwer zu sagen. Viele Leute haben sehr unterschiedliche Meinungen. Ich habe schon viele Leute getroffen, die nicht so einverstanden waren mit meiner Meinung. Aber trotzdem, der Großteil in Deutschland hilft den Menschen aus der Ukraine, so wie sie können.

Die bekannten Nachrichtensender zeigen halt so die bekannten Sachen und wir wissen bestimmt manchmal mehr, weil wir da wohnen. Aber insgesamt finde ich, dass in Deutschland sehr gut über das Geschehen in der Ukraine berichtet wird. Am Anfang, als ich hergekommen bin, kamen viele Fragen: Wie bist Du hergekommen? Wie findest Du Deutschland? Und wenn ich das mal nicht erzählen wollte, hab ich das auch nicht erzählt. Aber ansonsten finde ich solche Fragen ganz normal, wenn Leute wissen wollen, wie ich mich hier fühle.

Will man den Krieg auch manchmal einfach vergessen?

Nein, leider ist das nicht so. Denn Du erinnerst Dich immer wieder, dass in deiner Heimat gerade Krieg herrscht. Weil Du dort ja auch Freunde und Familie hast.

Du hast Deine ganze Kindheit und Jugend, dein ganzes Leben, dort verbracht und dann verstehst Du, dass das zerstört wurde.

Du kannst einige Orte nicht mehr besuchen, an denen Du früher gerne warst. Wenn Du in einem neuen Land wohnst, hilft es, dass Du nicht die ganze Zeit die ganzen schlimmen Nachrichten mitbekommst, aber das kommt alles immer mit Dir. Und ich denke, das wird auch so bleiben.

Als Du hier hergekommen bist und auch wenn Du jetzt hier lebst, fühlst Du dich von den Menschen und von den Institutionen willkommen geheißen und angenommen?

Ich habe am Anfang bei meinen Verwandten hier gewohnt und das am Anfang nicht wirklich mitbekommen. Meine Verwandten waren auch die ersten Deutschen, die ich kennengelernt habe, und die waren echt lieb. Andere Menschen waren auch sehr freundlich und offen. Es gab auch Situationen, wo Menschen gesagt haben, es gäbe sehr viel mit Menschen aus der Ukraine zu tun, aber eigentlich sind alle ganz nett, finde ich.

Möchtest Du irgendwann zurück? 

Ich will auf jeden Fall zurück in die Ukraine. Aber ich weiß nicht, vielleicht werde ich noch hier studieren. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich hier dann eine längere Zeit bleibe. Aber natürlich möchte ich meine Eltern besuchen. Und ich kenne auch Menschen, die schon jetzt in die Ukraine zurück wollen. Und ich kann sagen, das wollen sehr viele.

Tut Deutschland genug? Was hältst Du zum Beispiel davon, dass Deutschland Waffen in die Ukraine liefert, dazu gibt es ja sehr verschiedene Meinungen?

Also ich finde das gut. Denn ich weiß, wie es war, als es nicht genug Waffen gab. Mein Vater zum Beispiel  wollte mitgehen (in eine Militäreinheit, Anm. d. Red.) und konnte das nicht, weil es nicht genug Kleidung und Waffen gab. Und die Ukrainer brauchen Waffen, um sich beschützen zu können. Hier macht Deutschland sehr viel für ukrainische Menschen. Also ich wohne ja mit sehr vielen anderen ukrainischen Menschen zusammen und wir bekommen genug Hilfe.

Gibt es trotzdem irgendwas, wo Du sagen würdest, dass es sich unbedingt ändern müsste an der Hilfe in Deutschland? 

Also es ist sehr anstrengend mit dieser Bürokratie. Es ändert sich immer alles. Es ist bei vielen ukrainischen Menschen immer wieder anders, dieses System, was sie machen sollen. Einige kriegen auch ihre Dokumente erst nach einem halben Jahr, andere kriegen sie sofort. Manchmal müssen sie einige Formulare ausfüllen und bei anderen läuft es ganz anders. Das ist immer verwirrend. Denn wir fragen dann Andere, wie es bei ihnen war und wissen dann gar nicht, was wir jetzt machen sollen, und manche haben keine Deutschkenntnisse, um richtig nachfragen und verstehen zu können. Ich hatte Deutschkenntnisse, aber auch nicht so gute. Aber mit meinen Verwandten konnte ich verstehen, was ich zum Leben hier brauchte.

Zum Abschluss: Wenn Du einen Wunsch frei hättest, was sofort passieren sollte, was wäre das?

Natürlich das Ende des Krieges.

 

Vielen Dank, liebe Katya, für das Interview und deine Offenheit und alles Gute für die Zukunft!

 

Die Aussagen in diesem Interview wurden einzig in ihrer Grammatik korrigiert. (Anm. d. Red.)

Eine Krise, die nicht sein müsste

Ein Kommentar zur aktuellen Energiesituation und dem Zusammenhang zwischen globaler Klimagerechtigkeit, Sicherheit und Energiewende

Vor mehr als zehn Jahren haben mich meine Eltern mit zu meiner ersten Demonstration genommen. Es war eine Anti-Atomkraft-Demo. Den gelben Sticker mit der roten, lächelnden Sonne habe ich immer noch.

Heute bin ich achtzehn Jahre alt und engagiere mich in einer bekannten NGO und merke, wovon ich 2011 definitiv noch gar keine Ahnung hatte: Vom Zusammenhang von Energiepolitik, globaler Klimagerechtigkeit und Sicherheit.

Und damit meine ich nicht nur Versorgungssicherheit, sondern auch die Frage nach Frieden und der Gefährdung desselben durch fossile Energien und Atomkraft.
An vielen Orten der Welt heizen die Förderungen klimaschädlicher Energieträger Konflikte an, das sehen wir auch gerade in der Russland-Krise.

Bei der Spaltung von Atomkernen fallen hochgefährliche radioaktive Spaltprodukte an. Doch bis jetzt gibt es weltweit kein Endlager, in dem dieser hochgefährliche Müll sicher gelagert werden könnte. Dabei strahlen die Hinterlassenschaften der Atomkraft mehrere Millionen Jahre. Den mächtigen Menschen mag das momentan egal sein, da ist dann wohl das Geld wichtiger als die Zukunft. Aber ich habe noch ungefähr 70 Jahre, in denen ich auf dieser Erde lebe und in denen ich auch solche Folgen ausbaden muss. Ich sollte in 20 Jahren freudestrahlend sagen können, dass wir die Energiewende hinbekommen haben und nicht, dass wir eine Erde voller Atommüll erschaffen haben.

Zudem haben AKWs auch militärisch eine große Bedeutung. Einerseits können sie zur Zielscheibe werden für Militärs oder Terroristen, wie man es auch gerade in der Ukraine in Tschernobyl und Saporischschja sieht. Beide Atomkraftwerke wurden vom russischen Militär eingenommen. Außerdem kann Material aus zivilen Atomkraftwerken als Ausgangsbasis für Atombomben und den  Antrieb von Atom-U-Booten und Atom-Raketen verwendet werden.

Vor dem Hintergrund, dass Atomkraft mehr Probleme verursacht, als dass sie welche löst, sind solche Forderungen nach der Verlängerung der Laufzeit der AKWs, wie sie jüngst Markus Söder stellte, inakzeptabel. Ich habe Angst um die Zukunft! Gerade jetzt, wo die Atomkraftwerke in der Ukraine umkämpft sind.

Doch nicht nur die Atomkraft sollte uns Sorgen machen.

In was für einer verrückten Welt leben wir eigentlich, dass wir immer noch ohne Ende Kohle, Öl und Gas verbrennen, damit unser Klima anheizen und unsere Lebensgrundlagen zerstören? Die Folgen der Klimakrise zwingen Menschen zur Flucht und sie verstärken Konflikte, zum Beispiel um Wasser und Land.  Und ich bin erschüttert zu hören, dass  die sowieso schon stark umweltschädlichen Bohrplattformen auch noch von Militärschiffen geschützt werden! 2021 wurden  laut einer Greenpeace-Recherche 20 Prozent des deutschen Budgets für militärische Einsätze zur Wahrung der Energiesicherheit aufgewendet. Die Bundesregierung hat allein damit im Jahr 2021 161 Millionen Euro für die Sicherung  dieser hochgradigen Klimakiller verschwendet.

Und nicht nur, dass Kohle, Öl und Gas unsere Zukunft zerstören, sie gehen sehr oft einher mit Menschenrechtsverletzungen und Leid für die lokale Bevölkerung. Ein Beispiel, das mich sehr erschüttert, ist die enorme Zerstörung, die der Öl-Multi Shell mit seinen Bohrungen nach Erdöl in Nigeria angerichtet hat. Gigantische Öl-Lecks haben dort die Natur zerstört und großes Leid für die Menschen verursacht. Shell wird sogar vorgeworfen, 1995 an der Hinrichtung von neun nigerianischen Bürgerrechtler:innen, den Ogoni Nine, durch den damaligen nigerianischen Diktator beteiligt gewesen zu sein. Die Aktivist:innen hatten Massenproteste gegen die von Shell betriebene Ausbeutung ihrer Heimat im Niger-Delta initiiert und dafür wurden sie erhängt. Shell weist zwar die Vorwürfe zurück und gewann kürzlich ein entsprechendes Gerichtsverfahren. Das ändert aber nichts daran, dass für die Gewinnung von Erdöl Menschen ihr Leben lassen mussten und auch nicht daran, dass die Ausbeutung für Öl in Nigeria nachweislich auch heute weitergeht.

Auch in Deutschland ist die Ausbeutung fossiler Rohstoffe nicht konfliktfrei. In Deutschland sollen immer noch Leute für die Kohleförderung zwangsumgesiedelt und -enteignet werden. Menschen müssen ihre Heimat verlassen und ein geschichtsträchtiger, wertvoller Ort droht zu verschwinden. Der Ort, an dem das geschehen soll, ist Lützerath in Nordrhein-Westfalen.

An vielen Orten der Welt heizen die Förderungen klimaschädlicher Energieträger Konflikte an, das sehen wir auch gerade in der Russland-Krise. Durch den Import von Öl, Gas und auch Kohle aus Russland finanzieren wir Putins Krieg in der Ukraine.

Es gibt also mehr als genug Gründe, warum ein Ausstieg aus allen fossilen und nuklearen Energieträgern so schnell wie möglich erfolgen muss. Die Absurdität des Ist-Zustandes zwingt uns eigentlich dazu. Daher gibt es auch nur eine klare Richtung, die in Zukunft funktioniert, nämlich die der Friedensenergien. Wenn wir Klimagerechtigkeit, Sicherheit und nachhaltige Energien zusammenbringen wollen, dann brauchen wir diese.

Friedensenergien sind erneuerbare Energien, die gleichzeitig auch klimagerecht und vollständig nachhaltig sind. Denn eines darf nie vergessen werden, wenn über „die Erneuerbaren“ gesprochen wird:

Erneuerbare Energien müssen naturverträglich ausgebaut werden. Was bringt es, wenn zum Beispiel das Wasserkraftwerk “Gibe III” in Äthiopien durch Zuflüsse und andere menschliche Korrekturen dem Anrainerland Ägypten letztendlich so viel Wasser entzieht, dass Dürren entstehen. So ist die lokale Bevölkerung nicht mehr mit Wasser versorgt, die Natur kollabiert und Erdrutsche könnten die Folge sein.

Dabei ist ein solcher Missstand und dessen Förderung gar nicht nötig.

Gucken wir mal vor die eigene Haustür. An so vielen Stellen könnten Windparks stehen, Solaranlagen auf Dächern wären vergleichsweise  eine Leichtigkeit. Warum gibt es immer noch irrsinnige Abstandsregelungen für Windkraftanlagen? Die Kohlebagger baggern doch auch fast bis an die Grundstücksgrenze alles ab. Solche Hürden müssen beseitigt werden.

Aber es geht bei der Energiewende nicht darum, Verbraucher:innen zu kritisieren, denn das System muss sich ändern. Die Politik muss Chancen und die richtigen Anreize für Wirtschaft und Verbraucher:innen schaffen. Was ich meine, sind Subventionen und Investitionen an der richtigen Stelle: In die Energiewende.

Wir müssen die aktuellen Krisen als Anstoß begreifen, konsequent und zügig den regenerativen Wandel voranzutreiben. Der Wandel braucht ein wenig Radikalität.

Die 200 Milliarden für den Klimaschutz, die Finanzminister Lindner im Frühling 2022 angekündigt hat, sind ein wichtiger Schritt, solange sie richtig genutzt werden. Wenn Worten Taten folgen.

Deshalb ist es jetzt wichtig, keinen Rückzieher zu machen. Das geht auch an die Adresse von Herrn Wissing und Herrn Habeck, die die Energiewende, Wärmewende und Verkehrswende jetzt entschlossen vorantreiben müssen.

Der Wandel braucht ein wenig Radikalität.
Wenn man ihn so lange verschläft, dann braucht man sich auch nicht zu wundern. Es hat nie jemand gesagt, dass es bequem wird. Daher hält sich mein Verständnis für Menschen, die sich, im wahrsten Sinne des Wortes, auf ihrer Kohle ausruhen und auf ihr beharren, sehr deutlich in Grenzen, ist es doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Zukunft lebenswert zu halten.

 

Kilian Wolter

Schülerzeitungs-Engagement bei der “Ukraine Bulletin”

Stand 30. Oktober 2022 gehen 197.268 Ukrainerinnen und Ukrainer auf deutsche Schulen – bisher. Was passiert in ihrem Heimatland? Wie können wir ihnen helfen, sie integrieren? Welche Informationen brauchen ukrainische Schülerinnen und Schüler in Deutschland? Was hilft uns, zu verstehen? Wichtige Fragen, denen wir und andere Schülerzeitungs-Redaktionen nachgehen und darüber auf der Ukraine-Bulletin berichten.

Die Ukraine-Bulletin (kurz: #ukrbt) ist ein Media4Teens-Projekt des Vereins sii-kids & -talents e.V. aus Schleswig-Holstein, finanziell unterstützt vom D-S-E-E (Deutsche Stiftung für Engagement-und Ehrenamt). Dabei entsteht eine Gemeinschafts-Schülerzeitung mit Ukraine-Bezug – digital, multimedial, mehrsprachig. Daran beteiligen sich Jugendredakteure von verschiedenen Schülerzeitungen und schreiben dafür Artikel.

Für die Teilnehmer gibt es kostenfreien Support (u. a. Peer2Peer), kostenfreie Workshops, einen Schülerzeitungs-Wettbewerb und 5 neue Online-Schülerzeitung (die Websites dazu). Aktuell ist eine Projektlaufzeit bis Ende Dezember vorgesehen.

Vor Weihnachten wird die Preisverleihung sein, aber die ehemals besten Online-Schülerzeitungen von Deutschland erKant sowie Kalkuhl-SZ können bei diesem Schülerzeitungs-Wettbewerb nicht gewinnen, denn: sie leisten aktuell nicht nur Support, sondern werden auch in der Jury sitzen!


Inhaltlich können Artikel im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und dem Leben in Deutschland geschrieben werden.

Zum Beispiel welche über den Krieg, politische Entwicklungen, wirtschaftliche und Umwelt betreffende Zusammenhänge, Flüchtlingsunterkünfte, die Flucht an sich, wie das Leben in Deutschland ist, wie in der Ukraine, über Religion und Gesellschaft, Werte, Alltag, Schule, welche Hilfen / NonProfit-Organisationen es gibt und so weiter. Bei den Themen Aktuelles, Politik und (Non-Profit) Hilfen sind wir schon richtig gut gewesen und haben in der Summe bereits 70 Artikel geschrieben – seit Mitte September.

Besonders erfreulich wären jetzt noch Interviews mit ukrainischen Jugendlichen beziehungsweise Berichte über deren Erlebnisse – da ist noch viel Luft nach oben! Es könnten auch noch jede Menge Artikel über aktuelle (Hilfs-) Aktionen an Schulen, Integrations-Projekte, Berichte aus dem DAZ-Unterricht und Vieles mehr geschrieben werden.

Wir sind dabei und engagieren uns bei dem Projekt!

Welche Schulen beziehungsweise Schülerzeitungen bisher noch mitmachen und wie sich Weitere beteiligen können, steht auf der Website geschrieben: https://ukrbt.media4teens.de/support-projekt-infos/