Sarah Mardini – Gefängnisstrafe für humanitäre Hilfe?
Bis heute wagen sich jährlich viele Menschen auf die Flucht übers Mittelmeer, häufig in kleinen Schlauchbooten, in denen viel zu viele Menschen sind, und riskieren so ihr Leben, um aus ihrer Heimat vor Krieg und Armut zu fliehen. Im Jahr 2015 lag die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer geflohen sind, bei über 1 Millionen Menschen. Sie war so hoch wie nie zuvor. Eine von ihnen ist die aus Syrien stammende Sarah Mardini.
Ihre Geschichte beginnt im Jahr 1995 im syrischen Ort Darayya nahe Damaskus, wo drei Jahre später auch ihre Schwester Yusra Mardini zur Welt kam. Bereits in ihrer Kindheit begann ihr Vater Ezzat Mardini, der als Schwimmlehrer tätig war, die beiden Schwestern zu trainieren, woraufhin sie später Mitglieder der syrischen Nationalmannschaft wurden und an diversen Schwimmwettkämpfen teilnahmen.
Währenddessen begannen in Syrien im Frühjahr 2011 zunächst friedliche Proteste für politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit und gegen die Herrschaft von Staatsoberhaupt Baschar al-Assad dessen Regierung vor allem durch Korruption und Willkürherrschaft auffiel. Als am 22. April 2011 die bis dato größte Demonstration stattfand, wurden die Protestierenden gewaltsam niedergedrückt, wobei schätzungsweise 70 von ihnen ums Leben kamen. Im Verlauf des Jahres spitzten sich die Auseinandersetzungen immer weiter zu und die Regierung reagierte immer gewaltsamer auf die Protestierenden. Im Sommer 2011 haben sich Regierungsgegner und ehemalige syrische Soldaten zusammen geschlossen und sind gewaltsam gegen das Regime vorgegangen, woraufhin sich ein grausamer Bürgerkrieg entwickelte, infolgedessen bereits Ende 2011 um die 5.000 Zivilisten ums Leben kamen. Viele Menschen fliehen aus ihrer Heimat zunächst in die Türkei oder den Libanon. Stand 2022 sind etwa 13 Millionen Syrer*innen aus ihrer Heimat geflohen oder befinden sich zurzeit auf der Flucht.
Etwa 4 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs, am 12. August 2015, begaben sich auch Sarah Mardini und ihre Schwester Yusra Mardini auf die Flucht. Zunächst flohen sie in die Türkei, um von Izmir aus über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Zusammen mit 16 weiteren Flüchtlingen machten sie sich in einem Schlauchboot, das jedoch nur für 7 Personen ausgelegt war, auf den Weg zur 9 km entfernten griechischen Insel Lesbos. Doch vor ihrer Ankunft drohte das Boot aufgrund eines defekten Außenbordmotors zu sinken, woraufhin die beiden Schwestern das Boot den restlichen Weg an Land zogen und damit sowohl ihr eigenes als auch das Leben der anderen Flüchtlinge retteten. Von Lesbos aus kamen die beiden Schwestern schließlich nach Deutschland, wo sie sich weiter für Flüchtlingshilfe einsetzten und so zum Beispiel vor der UN-Generalversammlung sprachen. Im Herbst 2016, als Sarah Mardini gerade einmal 21 Jahre alt war, entschloss sie sich, genau dort anderen zu helfen, wo ihr einst geholfen wurde. Somit kehrte sie auf die griechische Insel Lesbos zurück und schloss sich dort der Nichtregierungsorganisation Emergency Response Center International (ERCI) an, deren Ziel die Hilfe und die Seenotrettung von Flüchtlingen war, die übers Mittelmeer nach Griechenland fliehen wollten. Hauptsächlich war die Organisation im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos tätig, wo Sarah Mardini unter anderem auch als Übersetzerin tätig war.
Als sie im August 2018 zurück nach Deutschland fliegen wollte, wurde sie am Flughafen Mytilini auf Lesbos festgenommen. Die Vorwürfe gegen sie und weitere Mitglieder der ERCI lauten unter anderem Spionage, illegale Nutzung von Funkfrequenzen, Beihilfe bei illegaler Einreise und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Nach der Verhaftung wurden die ehrenamtlichen Helfer 3 Monate lang in einem griechischen Hochsicherheitsgefängnis festgehalten, aus dem sie dann aber gegen Kaution frei gekommen sind. Daraufhin konnte Sarah Mardini wieder nach Deutschland einreisen, wo sie nun auf den Prozessbeginn wartete. Eine Verurteilung in allen Fällen würde eine Haftstrafe von 25 Jahren für die Mitglieder der ERCI bedeuten. Die Beschuldigten streiten die Vorwürfe entschieden ab, aber nichtsdestotrotz wurde gegen Sarah Mardini mit der Begründung, sie sei eine nationale Bedrohung, ein Einreiseverbot nach Griechenland verhängt. Das ist auch der Grund, weshalb sie bei dem Prozess, der am 10. Januar 2023 begonnen hat, nicht selbst, sondern nur über eine Anwältin aussagen kann.
Auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen wird die Klage gegen die Ehrenamtlichen scharf verurteilt.
So äußerte sich beispielsweise Glykeria Arapi von Amnesty International:
„Es ist ein Trend, den wir in Griechenland und anderen europäischen Ländern beobachten, dass solidarisches Handeln kriminalisiert wird. Die Botschaft lautet, dass es ein Verbrechen ist, Menschen in Not zu helfen, Flüchtlingen, Migranten, deren Leben auf See gefährdet ist.“
Des Weiteren wurde die Anklage in einem Bericht des Europaparlaments, der im Juni 2021 veröffentlicht wurde, als „der größte Fall von Kriminalisierung von Flüchtlingssolidarität in Europa“ bezeichnet.
Am 13. Januar 2023, nur drei Tage nach Prozessbeginn, wies das Gericht einige der Vorwürfe als unzulässig zurück, doch die Haupanklage besteht weiterhin. Nach dieser Verkündung sagte Seán Binder, einer der insgesamt 24 Angeklagten der ERCI, gegenüber Journalisten:
„Wir wollen, dass dieser Fall verhandelt wird. Wir wollen Gerechtigkeit. Heute hat es weniger Ungerechtigkeit gegeben, aber keine Gerechtigkeit.“
Wie der Prozess für die Mitglieder der Hilfsorganisation ERCI, die laut eigenen Angaben über 55.500 Menschenleben gerettet hat, ausgeht, ist unklar und so auch, ob Sarah Mardini, die heute in Berlin lebt und studiert und die anderen Angeklagten tatsächlich eine Gefängnisstrafe dafür erhalten, dass sie humanitäre Hilfe geleistet und so Menschen das Leben gerettet haben.
Quellen:
- https://www.malteser-international.org/de/hilfe-weltweit/naher-osten/syrien/der-buergerkrieg-in-syrien-ein-ueberblick.html#c661537
- https://www.amnesty.at/news-events/prozessbeginn-in-griechenland-sarah-mardini-und-se%C3%A1n-binder-sind-angeklagt-weil-sie-leben-retteten/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Sarah_Mardini
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/griechenland-prozess-mardini-101.html
- https://twitter.com/ercintl
- https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer
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