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Eine Krise, die nicht sein müsste

Ein Kommentar zur aktuellen Energiesituation und dem Zusammenhang zwischen globaler Klimagerechtigkeit, Sicherheit und Energiewende

Vor mehr als zehn Jahren haben mich meine Eltern mit zu meiner ersten Demonstration genommen. Es war eine Anti-Atomkraft-Demo. Den gelben Sticker mit der roten, lächelnden Sonne habe ich immer noch.

Heute bin ich achtzehn Jahre alt und engagiere mich in einer bekannten NGO und merke, wovon ich 2011 definitiv noch gar keine Ahnung hatte: Vom Zusammenhang von Energiepolitik, globaler Klimagerechtigkeit und Sicherheit.

Und damit meine ich nicht nur Versorgungssicherheit, sondern auch die Frage nach Frieden und der Gefährdung desselben durch fossile Energien und Atomkraft.
An vielen Orten der Welt heizen die Förderungen klimaschädlicher Energieträger Konflikte an, das sehen wir auch gerade in der Russland-Krise.

Bei der Spaltung von Atomkernen fallen hochgefährliche radioaktive Spaltprodukte an. Doch bis jetzt gibt es weltweit kein Endlager, in dem dieser hochgefährliche Müll sicher gelagert werden könnte. Dabei strahlen die Hinterlassenschaften der Atomkraft mehrere Millionen Jahre. Den mächtigen Menschen mag das momentan egal sein, da ist dann wohl das Geld wichtiger als die Zukunft. Aber ich habe noch ungefähr 70 Jahre, in denen ich auf dieser Erde lebe und in denen ich auch solche Folgen ausbaden muss. Ich sollte in 20 Jahren freudestrahlend sagen können, dass wir die Energiewende hinbekommen haben und nicht, dass wir eine Erde voller Atommüll erschaffen haben.

Zudem haben AKWs auch militärisch eine große Bedeutung. Einerseits können sie zur Zielscheibe werden für Militärs oder Terroristen, wie man es auch gerade in der Ukraine in Tschernobyl und Saporischschja sieht. Beide Atomkraftwerke wurden vom russischen Militär eingenommen. Außerdem kann Material aus zivilen Atomkraftwerken als Ausgangsbasis für Atombomben und den  Antrieb von Atom-U-Booten und Atom-Raketen verwendet werden.

Vor dem Hintergrund, dass Atomkraft mehr Probleme verursacht, als dass sie welche löst, sind solche Forderungen nach der Verlängerung der Laufzeit der AKWs, wie sie jüngst Markus Söder stellte, inakzeptabel. Ich habe Angst um die Zukunft! Gerade jetzt, wo die Atomkraftwerke in der Ukraine umkämpft sind.

Doch nicht nur die Atomkraft sollte uns Sorgen machen.

In was für einer verrückten Welt leben wir eigentlich, dass wir immer noch ohne Ende Kohle, Öl und Gas verbrennen, damit unser Klima anheizen und unsere Lebensgrundlagen zerstören? Die Folgen der Klimakrise zwingen Menschen zur Flucht und sie verstärken Konflikte, zum Beispiel um Wasser und Land.  Und ich bin erschüttert zu hören, dass  die sowieso schon stark umweltschädlichen Bohrplattformen auch noch von Militärschiffen geschützt werden! 2021 wurden  laut einer Greenpeace-Recherche 20 Prozent des deutschen Budgets für militärische Einsätze zur Wahrung der Energiesicherheit aufgewendet. Die Bundesregierung hat allein damit im Jahr 2021 161 Millionen Euro für die Sicherung  dieser hochgradigen Klimakiller verschwendet.

Und nicht nur, dass Kohle, Öl und Gas unsere Zukunft zerstören, sie gehen sehr oft einher mit Menschenrechtsverletzungen und Leid für die lokale Bevölkerung. Ein Beispiel, das mich sehr erschüttert, ist die enorme Zerstörung, die der Öl-Multi Shell mit seinen Bohrungen nach Erdöl in Nigeria angerichtet hat. Gigantische Öl-Lecks haben dort die Natur zerstört und großes Leid für die Menschen verursacht. Shell wird sogar vorgeworfen, 1995 an der Hinrichtung von neun nigerianischen Bürgerrechtler:innen, den Ogoni Nine, durch den damaligen nigerianischen Diktator beteiligt gewesen zu sein. Die Aktivist:innen hatten Massenproteste gegen die von Shell betriebene Ausbeutung ihrer Heimat im Niger-Delta initiiert und dafür wurden sie erhängt. Shell weist zwar die Vorwürfe zurück und gewann kürzlich ein entsprechendes Gerichtsverfahren. Das ändert aber nichts daran, dass für die Gewinnung von Erdöl Menschen ihr Leben lassen mussten und auch nicht daran, dass die Ausbeutung für Öl in Nigeria nachweislich auch heute weitergeht.

Auch in Deutschland ist die Ausbeutung fossiler Rohstoffe nicht konfliktfrei. In Deutschland sollen immer noch Leute für die Kohleförderung zwangsumgesiedelt und -enteignet werden. Menschen müssen ihre Heimat verlassen und ein geschichtsträchtiger, wertvoller Ort droht zu verschwinden. Der Ort, an dem das geschehen soll, ist Lützerath in Nordrhein-Westfalen.

An vielen Orten der Welt heizen die Förderungen klimaschädlicher Energieträger Konflikte an, das sehen wir auch gerade in der Russland-Krise. Durch den Import von Öl, Gas und auch Kohle aus Russland finanzieren wir Putins Krieg in der Ukraine.

Es gibt also mehr als genug Gründe, warum ein Ausstieg aus allen fossilen und nuklearen Energieträgern so schnell wie möglich erfolgen muss. Die Absurdität des Ist-Zustandes zwingt uns eigentlich dazu. Daher gibt es auch nur eine klare Richtung, die in Zukunft funktioniert, nämlich die der Friedensenergien. Wenn wir Klimagerechtigkeit, Sicherheit und nachhaltige Energien zusammenbringen wollen, dann brauchen wir diese.

Friedensenergien sind erneuerbare Energien, die gleichzeitig auch klimagerecht und vollständig nachhaltig sind. Denn eines darf nie vergessen werden, wenn über „die Erneuerbaren“ gesprochen wird:

Erneuerbare Energien müssen naturverträglich ausgebaut werden. Was bringt es, wenn zum Beispiel das Wasserkraftwerk “Gibe III” in Äthiopien durch Zuflüsse und andere menschliche Korrekturen dem Anrainerland Ägypten letztendlich so viel Wasser entzieht, dass Dürren entstehen. So ist die lokale Bevölkerung nicht mehr mit Wasser versorgt, die Natur kollabiert und Erdrutsche könnten die Folge sein.

Dabei ist ein solcher Missstand und dessen Förderung gar nicht nötig.

Gucken wir mal vor die eigene Haustür. An so vielen Stellen könnten Windparks stehen, Solaranlagen auf Dächern wären vergleichsweise  eine Leichtigkeit. Warum gibt es immer noch irrsinnige Abstandsregelungen für Windkraftanlagen? Die Kohlebagger baggern doch auch fast bis an die Grundstücksgrenze alles ab. Solche Hürden müssen beseitigt werden.

Aber es geht bei der Energiewende nicht darum, Verbraucher:innen zu kritisieren, denn das System muss sich ändern. Die Politik muss Chancen und die richtigen Anreize für Wirtschaft und Verbraucher:innen schaffen. Was ich meine, sind Subventionen und Investitionen an der richtigen Stelle: In die Energiewende.

Wir müssen die aktuellen Krisen als Anstoß begreifen, konsequent und zügig den regenerativen Wandel voranzutreiben. Der Wandel braucht ein wenig Radikalität.

Die 200 Milliarden für den Klimaschutz, die Finanzminister Lindner im Frühling 2022 angekündigt hat, sind ein wichtiger Schritt, solange sie richtig genutzt werden. Wenn Worten Taten folgen.

Deshalb ist es jetzt wichtig, keinen Rückzieher zu machen. Das geht auch an die Adresse von Herrn Wissing und Herrn Habeck, die die Energiewende, Wärmewende und Verkehrswende jetzt entschlossen vorantreiben müssen.

Der Wandel braucht ein wenig Radikalität.
Wenn man ihn so lange verschläft, dann braucht man sich auch nicht zu wundern. Es hat nie jemand gesagt, dass es bequem wird. Daher hält sich mein Verständnis für Menschen, die sich, im wahrsten Sinne des Wortes, auf ihrer Kohle ausruhen und auf ihr beharren, sehr deutlich in Grenzen, ist es doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Zukunft lebenswert zu halten.

 

Kilian Wolter